Über die Autorin

Gertraude Kühnle-Hahn ist Leiterin des Seminars für Seelsorge-Fortbildung in Württemberg.

Seelsorge in der Gemeinde

Gemeindeseelsorge ist eine wesentliche kirchliche Aufgabe, ein Herzstück gemeindlicher Arbeit. Dennoch führt sie oft ein Schattendasein in der öffentlichen Wahrnehmung, in der Priorisierung der Aufgaben, in der Seelsorge-Literatur, in der schlichten Ausübung.

Warum ist das so, wo doch viele Hauptamtliche Seelsorge zum Eigentlichen ihrer Arbeit zählen?

Viele assoziieren mit »Seelsorge« dramatische, belastete Situationen, Gespräche in existenziellen Krisen, besondere Orte, wo die Seelsorge stattfindet (Krankenhaus, Altenheim, Gefängnis, Notfall-Situationen). Darüber wird oft die »normale« Gemeindeseelsorge vergessen bzw. tritt in den Hintergrund. Zudem gibt es sehr konkrete Vorstellungen über das, was ein Seelsorgegespräch charakterisiert: Es ist ein tiefgehendes Einzelgespräch, bei dem man sich in einem geschützten Raum gegenübersitzt, für das man eine bestimmte Zeit vereinbart hat.

Dass es diese Weise von Seelsorge gibt, ist unbestritten. Dennoch hat ein großer Teil dessen, was zur Gemeindeseelsorge gehört, den Charakter des Zufälligen, wie es in den Bezeichnungen »Seelsorge am Gartenzaun« oder »Seelsorge bei Gelegenheit« zum Ausdruck kommt. Das gilt sowohl für die von Hauptamtlichen als auch für die von Ehrenamtlichen ausgeübte Seelsorge.

Dabei gibt es zweierlei Bewegungen:

Entweder geht der Seelsorger, die Seelsorgerin auf jemanden zu, grüßt und erkundigt sich nach dem Ergehen. Da kann ganz Alltägliches zur Sprache kommen. Es kann aber für die angesprochene Person eine Möglichkeit sein zu erzählen, was sie gerade besonders bewegt, vielleicht auch belastet.

Die andere Bewegung: der Seelsorger, die Seelsorgerin wird von jemandem angesprochen, oft mittendrin beim Gemeindefest oder an der Kirchentür oder auf der Straße. Auch hier können Themen des Alltags angesprochen werden. Es kann aber auch geschehen, dass jemand fast überfallartig vom eigenen Ergehen und Erleben spricht, von schweren Lebensthemen.

Beide Bewegungen gehören zur Gemeindeseelsorge und sind nicht planbar. Sie haben aber viel mehr Bedeutung, als wir ihnen oft zumessen. Für den Seelsorger, die Seelsorgerin war das vielleicht ein kurzes, zufälliges Gespräch, für die andere Person nicht selten eine kostbare Erfahrung, dass sich jemand nach ihr erkundigt hat bzw. sie jemandem sagen konnte, wie es ihr wirklich geht.

Auch die aufsuchenden Hausbesuche durch Seelsorger und Seelsorgerinnen bergen die Möglichkeit, dass Alltagsthemen zur Sprache kommen bis hin zu tiefgehenden Fragen und Nöten. Menschen fühlen sich gewürdigt, dass sich jemand Zeit nimmt, sie zu besuchen, dass sich jemand für ihr Zuhause und ihre Lebenswelt interessiert. Bei Hausbesuchen ist der Seelsorger, die Seelsorgerin immer auch Gast, was sich oft darin ausdrückt, dass man beim Besuch bewirtet wird.

Das Besondere und durch nichts zu Ersetzende der Gemeindeseelsorge liegt in ihrer Geh-Struktur im doppelten Sinn: Sie geht hinaus aus den geschützten Räumen, sie geht auf die Straße, in die Welt, ins Offene, auch Ungewisse. Aber so geht sie zu den Menschen, an ihre Orte, in ihre Lebens- und Arbeitswelt.

Wenn man die Gemeindeseelsorge wahrnehmen und würdigen will, muss man das Selbstverständliche entselbstverständlichen (so Wolfgang Drechsel in seinem lesenswerten Buch »Gemeindeseelsorge«) und einen Blick haben für die Vielfalt seelsorglicher Begegnungen und Situationen.

Die oft schnell getroffene Entscheidung zwischen einem oberflächlichen und einem tiefgehenden Gespräch geht an der Bedeutung der verschiedensten Gestalten von Gemeindeseelsorge vorbei und nimmt sie nicht wahr, abgesehen davon, dass dieses Urteil ja immer dem eigenen subjektiven Erleben entspringt und nichts darüber aussagt, was dieses Gespräch für das Gegenüber bedeutet.

Wolfgang Drechsel beschreibt dies in einem Praxisbeispiel, das für viele ähnliche Erfahrungen stehen mag: Ein Gemeindepfarrer begegnet beim Einkaufen im Supermarkt mehrfach einem Mann, der sonst in kirchlichen Zusammenhängen nicht auftaucht. Dabei kommt er mit ihm immer wieder ins Gespräch. Dem Pfarrer fällt eines Tages auf, dass er den Mann nicht mehr trifft. Kurz darauf meldet sich dessen Ehefrau im Pfarramt, erzählt, dass er gestorben ist und bittet den Pfarrer, ihren Mann zu beerdigen. Das sei sein ausdrücklicher Wunsch gewesen, da er mit ihm über alles habe sprechen können, was ihm wichtig war.

In der Gemeindeseelsorge liegen viele Schätze verborgen. Es braucht dazu achtsame, wache, vorurteilslose Menschen, die offen sind für andere Menschen, für Situationen, für Themen. Es braucht Menschen, die Freude am Kontakt haben, auch am vermeintlich Oberflächlichen und Alltäglichen, Menschen, die keine Bewertungsschere im Kopf haben. Es braucht Menschen mit einem guten Gespür für das, was dran ist, für das, was zwischen den Worten gesagt wird, für das, was das Gegenüber braucht. Es braucht haupt- und ehrenamtliche Gemeindeseelsorgerinnen und -seelsorger.

Kontakt und Informationen

Seminar für Seelsorge-Fortbildung

Pfarrerin Gertraude Kühnle-Hahn

Leiterin des Seminars

Evangelisches Bildungszentrum »Haus Birkach«
Grüninger Straße 25
70599 Stuttgart

Telefon:(0711) 45804-31
Fax:(0711) 45804-78

Mail: gertraude.kuehnle-hahn@elk-wue.de
Web: Seminar für Seelsorge-Fortbildung