Über den Autor

Ulrich Rost ist Dozent für Schulseelsorge am ptz Stuttgart

Schulseel­sorge

Wo nahezu alle Jugendlichen unserer Gesellschaft, deren Lehrkräfte und im Hintergrund auch deren Familien präsent sind, dort arbeitet Schulseelsorge. Große Teile unserer Gesellschaft sind mit der Schule verbunden. Sie ist ein Brennpunkt, in dem sich viele Entwicklungen früh und intensiviert abzeichnen. Menschen, die über kirchliche Gemeindearbeit nicht mehr erreicht werden, sind in der Schule da – oft mit großen Nöten. Sie verbringen dort bekanntlich immer mehr Zeit. Schulseelsorge geht auf die Menschen zu, die am Schulleben beteiligt sind, und beteiligt sich auch an der Fürsorge für das System als Ganzes. Sie ist eine überaus notwendige, komplexe und erfüllende Aufgabe. Vor gut 40 Jahren erkannten dies weitsichtige Lehrkräfte und begannen in Eigeninitiative schulseelsorglich tätig zu werden. Einzelne Landeskirchen entwarfen so nach und nach erste Konzepte. Seit 2006 nimmt sich die EKD der Schulseelsorge an. 2014 hat sie nach mehrjährigen Beratungen einen Orientierungsrahmen für evangelische Schulseelsorge beschlossen. In diesem sind die Aufgabenfelder und die Qualifikationsstandards für Schulseelsorgende festgehalten. Ebenso werden die Voraussetzungen für eine Beauftragung in Schulseelsorge darin geregelt. Eine Beauftragung bedeutet, dass entsprechend qualifizierten Personen von ihren Landeskirchen als Schulseelsorgende so eingesetzt werden können, dass sie unter dem Seelsorgegeheimnisgesetz arbeiten.

In unserer Landeskirche machen Schulseelsorgende ein offenes Angebot an alle Personen, die am Schulleben beteiligt sind: Schülerinnen und Schüler, Lehrkräfte und Eltern. In interreligiöser und interkultureller Offenheit bietet sie in dem leistungsorientierten Kontext der Schule einen »annehmenden Raum« an. Hier können Menschen einfach da sein, werden um ihrer selbst willen gehört, gesehen und angenommen. Hier wird nicht versucht mit ihnen irgendwelche Ziele zu erreichen. Hier ereignet sich erfahrbar Evangelium und geschieht oft ganz Wesentliches für die weitere Entwicklung.

In unseren im ptz Stuttgart abgehaltenen Qualifikationskursen ist konzeptioneller Bestandteil, dass Schulseelsorge in enger Absprache mit den jeweiligen Schulverantwortlichen erfolgt und in sensibler Fühlungsname mit allen am Schulleben beteiligten Personen vollzogen wird. Sie versteht sich als integraler Bestandteil des Sozialraumes Schule und damit nicht in Konkurrenz, sondern in qualifizierter, profilierter und zugleich anschlussfähiger Ergänzung und Vernetzung mit anderen Angeboten. Während zum Beispiel die Schulsozialarbeit meist schon mit den Schüler:innen ausgelastet ist, die »mit ihrer Not auffallen«, versucht die Schulseelsorge den Raum für alle am Schulleben beteiligten Personen zu öffnen. Viele von ihnen funktionieren zwar noch, tragen aber auch schon viele Probleme und Nöte mit sich herum. Schulseelsorgende begleiten Menschen im Geiste einer bedingungsfreien und wertschätzen Gesprächskultur bei ihrer Suche nach Sinn, ihren Lebensfragen, ihrer persönlichen Entwicklung, in Krisen und da wo sie eine eigene Spiritualität entdecken wollen. Dabei haben sie die Schule als Ganzes im Blick und fördern das Zusammenleben aller am Schulleben Beteiligten Personen (sharing und caring community).

In der Ausbildung achten wir darauf, dass Schulseelsorgende einerseits da, wo sie gefragt werden, ihre christliche Überzeugung angemessen ausdrücken und sich andererseits in hoher Pluralitätsfähigkeit auf eine dialogische Gesprächskultur einlassen können. Sie drängen niemandem etwas auf; sie unterstützen Menschen vielmehr dabei, ihren je eigenen Weg zu finden.

Nach den Leitlinien der Evangelischen Landeskirche in Württemberg für Schulseelsorge ist eine erwartbare Kernkompetenz der Beauftragten, dass sie Gespräche auf dem Niveau heutiger kommunikationswissenschaftlicher Erkenntnisse führen können. Die Qualität muss hier stimmen, wenn Schulseelsorge in diesem zentralen Brennpunkt unserer Gesellschaft langfristig hilfreich sein und bestehen wollen. Neben seelsorglichen Gesprächsangeboten macht Schulseelsorge je nach Situation der Schule und Schwerpunkt der agierenden Person ein breites Angebot: Sie arbeitet in der Regel in den von der Schule verantworteten Krisenteams mit. Sie initiiert und leitet nicht selten einen Arbeitskreis »Trauer und Tod in der Schule«, der für den Schulalltag eine große Entlastung und Hilfestellung darstellt. Sie macht geistliche und spirituelle Angebote, bietet Räume der Stille, liturgische Feiern und Schulgottesdienste an und veranstaltet unter anderem Tage der Orientierung. Auch verantwortet sie Projekte, wie zum Beispiel, Cafés und Box AGs. Für diese Arbeit bekommen die Schulseelsorgenden in der Regel ein bis zwei Deputatsstunden erlassen.

Schulseelsorge ist ein Arbeitsfeld der Kirche, das – gemessen an der überaus breiten und großen Wirkung – mit sehr wenigen Mitteln stark ausgebaut werden könnte. Im Augenblick wird die Qualifikation der Schulseelsorger:innen mit nur einer 50 % Stelle verantwortet. Sehr erfreulich ist, dass es viele motivierte Lehrerinnen und Lehrer gibt, die vor Ort in den Schulen schon einen guten Stand haben und für diese Tätigkeit schon wichtige Kompetenzen mitbringen. Sie müssen aber weitergebildet werden.

Dem ptz Stuttgart obliegt die Aufgabe der Qualifikation zur Beauftragung in evangelischer Schulseelsorge. Die Qualifikation erfolgt vor allem über einen Jahreskurs, in dem zwölf Personen 22 Tage einen sehr intensiven erfahrungsbezogenen Lernweg gehen können. Des Weiteren gehören zum Angebot auch Module, die zum Schnuppern, zur Vertiefung und für die Qualifikation genutzt werden können. Mit der badischen Landeskirche besteht eine Vereinbarung, dass die Veranstaltungen gegenseitig besucht werden können. Besonders zukunftsweisend ist, dass in Württemberg das Schulpastoral der Diözese Rottenburg und die ev. Schulseelsorge immer intensiver zusammen arbeiten. Einige Fortbildungsveranstaltungen werden schon gemeinsam angeboten, weitere sind in Planung. Die Arbeit vor Ort findet zunehmend nur Akzeptanz, wenn evangelische und katholische Schulseelsorgende zusammenarbeiten. Darum ist es folgerichtig, dass wir in der Qualifikation möglichst eng zusammenarbeiten. Dabei versuchen wir unsere jeweiligen Stärken zum Zuge kommen zu lassen.

Viele Personen, die Qualifikationskurse besucht haben, berichten, dass diese nicht nur für die Schulseelsorge im engeren Sinne unglaublich viel bringen, sondern ihnen für die gesamte Tätigkeit an der Schule ein breiteres Standing und viel mehr Sicherheit geben. Besonders hilfreich ist meines Erachtens der in den ptz-Kursen praktizierte erfahrungsbezogene Lernansatz. In diesem arbeiten die Ausbildenden schwerpunktmäßig an einer annehmenden Grundhaltung der Person und vermitteln darauf aufbauend Gesprächstechniken, lösungsorientierte Ansätze, Konzeptarbeit und systemisches Schulseelsorgemangement. In diesem Ansatz wird die kommunikationswissenschaftliche Erkenntnis ernst genommen, dass 2/3 einer gelungenen Begegnung die Wirkung unserer Person ausmacht.

Christliche Schulseelsorge stellt ihren annehmenden Raum im Bewusstsein der liebenden Gegenwart Gottes zur Verfügung. Ihre Arbeit gründet in Jesus Christus, in dem sich Gott ganz und gar auf den Menschen eingelassen hat und so seine bedingungslose Liebe zeigt. Dieses Bewusstsein der Liebe gibt der Schulseelsorge ihre Kraft. Es gibt auch ohne Worte die Dimension des Evangeliums weiter und hat große Wirkung bis in die tiefsten Strukturen unseres Seins.

Dieser ganz großen Liebe versuchen wir auf der handwerklichen Ebene zu antworten und zu entsprechen, indem wir eine annehmende Grundhaltung und Kommunikation einüben. Auf Grund meiner langjährigen Erfahrung in der Seelsorge-Ausbildung und Weiterbildung weiß ich, dass es dazu viele Fähigkeiten braucht: Arbeit an der eigenen Person und Übung. Was hier einfach klingt, ist eine eigene und hohe Kunst. Mit dieser Kunst kann die Schulseelsorge selbstbewusst auftreten, weil in der Welt der SchülerInnen wohl kaum etwas so sehr gesucht wird, wie die spürbare Erfahrung der Liebe.

Kontakt und Informationen

Pädagogisch-Theologisches Zentrum der Evangelischen Landeskirche in Württemberg

Ulrich Rost

Dozent für Schulseelsorge

Grüninger Straße 25
70599 Stuttgart

Telefon: (0711) 45 804-82

Mail: Ulrich.Rost@elk-wue.de
Web: Pädagogisch-Theologisches Zentrum Stuttgart