Über den Autor

Pfarrer Eckhard Ulrich war Krankenhausseelsorger am Marienhospital in Stuttgart und Koordinator der Aidsseelsorge der Evangelischen Landeskirche in Württemberg.

Aidsseelsorge

Ein Fallbeispiel aus der Aidsseelsorge

Ein ca. 40jähriger Mann wird mit nahezu komplettem Systemversagen direkt in die Intensivstation eingewiesen. Schneller, verheerender Befund: IRIS-Syndrom. Dies tritt gelegentlich auf bei Menschen, die lange Zeit ihre HIV-Infektion verdrängt haben, ihre antiretroviralen Medikamente nicht genommen oder überhaupt nichts von ihrer Infektion gewusst haben. Künstliches Koma. Mit maximalem Einsatz sichern Internisten und Intensivmediziner das nackte Überleben. In dieser dramatischen Phase lerne ich ihn und eine Angehörige kennen. Der Patient kommt zu Kräften, gewinnt nach längerer Rekonvaleszenz seine frühere Vitalität und Lebensfreude wieder. Er ist heterosexuell, die Ehefrau aus Fernost ebenfalls HIV positiv. Heute arbeitet er ehrenamtlich und seit kurzem zusätzlich in bezahlter Arbeit mit in einer Klinik, wird allgemein geschätzt. Von seiner Erkrankung, die man ihm jetzt nicht mehr anmerkt, weiß kaum jemand. Warum auch. Einmal hatte er allerdings ein Erlebnis, das subjektiv wie objektiv als ausgrenzend und stigmatisierend gesehen werden kann, wiewohl keine böse Absicht vorlag: Der Patient berichtete, dass er einmal bettlägerig zu einer Untersuchung gefahren wurde. Auf seiner Bettdecke lag die übliche Patientenakte, die mit einem riesengroßen Plakat versehen war, auf der in grellen Farben und großen Buchstaben geschrieben stand: CAVE HIV! Viele Menschen konnten dies lesen auf dem Weg zur Untersuchung.

Aidsseelsorge heute

Heute muss sich niemand mehr fürchten vor HIV, auch nicht vor AIDS. Letzteres sehen wir heute in Ländern wie dem unseren erfreulicherweise immer seltener. Heute muss niemand die HIV-Infektion fürchten; wer die Grundregeln menschlichen Zusammenlebens beherrscht, kann es nicht bekommen. Und heute, aber auch schon früher, muss man sich nicht vor Menschen mit HIV fürchten, muss nicht vor ihnen gewarnt werden – CAVE HIV! –, denn es sind Menschen wie du und ich, mit ihrem je eigenen Lebensweg, die selbst aufs Peinlichste darauf bedacht sind, nur ja keinem anderen ein Leid anzutun, dessen Gesundheit zu gefährden.

Heute ist AIDS weitgehend aus dem Fokus der allgemeinen Aufmerksamkeit geraten. Das ist gut so, und das ist in der unglaublichen Erfolgsgeschichte begründet, wie mit der gefürchteten und schlimmen neuen Infektion umgegangen wurde. An Anfang war Unsicherheit, großes Erschrecken, Fragen über Fragen, was Sexualität und teilweise auch schon den normalen zwischenmenschlichen Umgang anging. Drogenkonsum und Promiskuität wurden aus einem nichtwissenwollenden Halbdunkel ins grelle Scheinwerferlicht gerückt. Aber Politik, Forschung, Medizin und das bis heute vitale Selbsthilfenetzwerk arbeiteten unermüdlich und mit ziemlichem Erfolg an der Entmythologisierung eines Komplexes, der ja tatsächlich besonders war und immer noch teilweise ist: Die Verschränkung von Schuldigwerden und Lebensfreude, entgrenztem Genuss und plötzlichem nahem, bitterem Tod, und dies gerade bei jungen Menschen. In diesem Kontext entstand überall, auch in der Kirche, das Fragen und Suchen, wie mit der heraufziehenden Seuche, wie vor allem aber mit den betroffenen Menschen umzugehen sei. Wo mit kirchlichen Angeboten, Schutzräumen, Verständnis und Offenheit zu begegnen ist und wo durchaus auch einmal kritische Distanz geboten sein könnte. Wir in Württemberg waren anfangs rund 50 engagierte Pfarrerinnen und Pfarrer, auch Diakoninnen, die also praktisch in jedem Kirchenkreis als sog. Bezirksbeauftragte für HIV und AIDS aktiv wurden. Wir hatten und haben bis heute intensive, spannende Fortbildungen, sind vielfach vernetzt, etwa mit den Aidshilfen, Gesundheitsämtern, Schwerpunktarztpraxen, Beratungsstellen, selbstverständlich alles sehr konsequent ökumenisch.

Die große Krise um HIV scheint in unserem Land gelöst. Jedenfalls medizinisch. Sozial liegt noch immer Vieles im Argen, wir raten kaum einmal jemand, sich als HIV-Positiver im beruflichen Feld zu outen. Teilweise gibt es immer noch große Angst vor Ablehnung bis hinein ins engste private Umfeld. Da stehen wir als Seelsorger und Seelsorgerinnen bereit, wir laden zu Gottesdiensten und Feiern ein, etwa am jährlichen Welt-AIDS-Tag am 1. Dezember.

Ich organisiere diese Arbeit schon sehr lange, sie liegt mir nach wie vor am Herzen. Und heute sind wir immer noch gut 20 Kollegen und Kolleginnen in unserem Netzwerk. Wenn Sie sich für uns und unsere spezielle Arbeit interessieren, schauen Sie doch einmal auf unsere Internetseite: www.aids-seelsorge.de

Kontakt und Informationen

Aidsseelsorge der Evangelischen Landeskirche in Württemberg

Pfarrer Eckhard Ulrich

Koordinator der Aidsseelsorge

Telefon: (07 11) 60 38 55
Fax: (0711) 6489-2220 (z.Hd.Pfr.Ulrich)

E-Mail: Eckhard.Ulrich@elkw.de
Web: Aids-Seelsorge