Über die Autorin

Susanne Bakaus ist Leiterin der Landesstelle, Diplom-Psychologin, Systemische Therapeutin und Supervisorin

Seelsorge in den Psycho­logischen Beratungs­stellen

Kurz vor Weihnachten bekomme ich einen Anruf, ob ich kurzfristig vor Weihnachten noch einen Termin an einen jungen Mann vergeben kann, dessen Frau sich vor wenigen Tagen das Leben genommen hat. Ich sage zu und wir treffen uns zwei Tage vor Heiligabend in der Landesstelle. Er fängt sofort an zu erzählen: »Ich bin ja so froh, dass ich kommen konnte, wissen Sie, ich glaube, ich bin nicht mehr normal. Alle fragen mich, warum ich nicht weine, ich solle doch trauern, aber ich fühle nichts, ich stehe wie neben mir und habe Angst, dass ich verrückt werde.«

Er ist Sozialarbeiter in einer evangelischen Einrichtung und Kirchengemeinderat in seiner Gemeinde. Deshalb kommt er zu uns, denn die Landesstelle ist speziell für die Mitarbeitenden der evangelischen Landeskirche zuständig. Unsere 13 Psychologischen Beratungsstellen sind für alle Menschen offen.

Er erzählt mir, dass er mit seiner Freundin schon seit acht Jahren zusammengelebt hatte und sie sich überlegt hatten, Kinder zu bekommen. Es habe nie irgendwelche Lebensüberdrussgedanken bei ihr gegeben. Sie sei oft sehr in sich gekehrt gewesen und habe viel Zeit für sich gebraucht. Und dann sei sie einfach am dritten Advent mit ihrem Auto absichtlich in hohem Tempo gegen einen Brückenpfeiler gefahren. Ich erkläre ihm, dass dieses Gefühl von Taubheit und Neben-sich-Stehen nach einem solchen Schock normal ist. Wir wissen aus der Traumaforschung, dass dies ein Selbstschutzmechanismus ist, um das Weiterleben und Funktionieren zu gewährleisten. Er erwidert, er habe furchtbare Angst, dass das so bleibt, und dass er verrückt werde. Er kann auch nicht mehr schlafen und lenke sich mit Fernsehen ständig ab.

Zwar wissen wir Psychologen sehr wohl, dass es einen kleinen Prozentsatz von Menschen gibt, die innerlich nach einem Schock nicht mehr ins Leben zurückfinden, neben sich stehen bleiben und »ver-rückt« werden, aber ich möchte für ihn, der so verzweifelt ist, die Hoffnung und die Zuversicht halten. Ich spreche ihm zu, dass er nicht verrückt ist und es auch nicht werden wird und seine Gefühle und das Gefühl für sich selbst sich wieder einstellen werden. Das brauche seine Zeit und komme von selbst wieder. Ich merke, wie er sich entspannt.

Da wir vor Weihnachten nicht mehr viel Zeit haben, möchte ich mit ihm nur planen, wie er über die Feiertage gut für sich sorgen kann. Aus der Resilienzforschung wissen wir, dass Menschen, die über gute Ressourcen verfügen, eine weit bessere Chance haben, ein Trauma langfristig unbeschadet zu überstehen und so frage ich ihn danach, was ihm wohl gut tun könne und wie er die Weihnachtszeit nicht nur überstehen, sondern vielleicht sogar für sich nutzen könne. Der Kontakt zu seinen Eltern sei schlecht, aber es gebe einen Bruder, die Freundin seiner Freundin und auch einen Freund und so plant er, mit diesen die Weihnachtstage zu verbringen. Kirchgang an Weihnachten sei keine Option. Sein Bruder, zu dem er an Heiligabend und am ersten Weihnachtsfeiertag gehen könne, sei nicht gläubig und deswegen ginge man da auch nicht in den Gottesdienst. Das sei auch o.k. so, er habe dazu im Moment auch kein Gefühl: »Das ist alles leer«, sagt er. Was ihm gut tue, wisse er nicht, nur, dass es im Moment gut sei, nicht alleine zu sein.

In den folgenden Wochen beschäftigen wir uns mit der Neuorganisation seines äußeren Lebens: Die Wohnung muss ausgeräumt, eine neue kleinere gefunden werden, ein kleines Erbe muss mit der Herkunftsfamilie seiner Freundin an diese verteilt werden, da er und seine Freundin nicht verheiratet waren; er muss und will zur Arbeit zurückkehren. Im Innen wird es ruhiger, die Schlafstörungen werden besser und beim Ausräumen der Habseligkeiten der Freundin stellen sich auch Gefühle von Trauer ein. Irgendwann kommen auch Gefühle der Wut und damit einhergehend auch immer wieder Schuldgefühle hinzu, die besprochen werden wollen.

Beim Auffinden von Ressourcen im Sandspiel werden wieder mehr Kräfte und Stärken bewusst, die unter dem Eindruck des Schocks verschüttet schienen: Musik, in der Natur spazieren gehen, mit Freunden ins Kino oder auf ein Konzert gehen, Sport. Und auch schöne Gefühle, die wir in unserem Leben schon gehabt haben: Gedanken an die Oma, die immer für ihn da war, schöne Urlaube mit der Freundin, guten Sex (zumindest am Anfang), den Hund in der Familie, der ihm immer so wichtig war, die Dinge, die er im Leben schon gemeistert hat, wie sein Studium. Zum Schluss wird auch noch die Kirche dazu gestellt: als eine Kraft, weil man für andere etwas tun kann. Die Idee, die Kirche und den Glauben für sich selbst zu nutzen, ist neu für ihn. Er stellt einen Engel an die Ecke des Sandkastens.

Die 13 Psychologischen Beratungsstellen unter der Fachaufsicht der Landesstelle beraten Menschen niedrigschwellig in Lebenskrisen und Sinnfragen, Beziehungskonflikten und familiären Unsicherheiten. Besonders der Bereich der Erziehungsberatung wurde in den letzten Jahren immer mehr ausgebaut. In Zeiten von zunehmenden Scheidungen und den daraus entstehenden Patch-Work-Familien stellt sich die Kirche der Herausforderung, Familien professionell zu begleiten. Die Jahresstatistik der Landesstelle für die Psychologischen Beratungsstelle belegt diese These eindeutig: Hauptgründe in der Erziehungsberatung sind die Belastungen des jungen Menschen durch familiäre Konflikte.

Kontakt und Informationen

Landesstelle der Psychologischen Beratungsstellen in der Evangelischen Landeskirche in Württemberg

Susanne Bakaus

Leiterin der Landesstelle

Augustenstraße 39B
70178 Stuttgart

Telefon: (0711) 669586
Fax: (0711) 6695871

Mail: sekretariat@lpb-elk-wue.de
Web: Landesstelle der Psychologischen Beratungsstellen