Über die Autorin

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Pfarrerin Rosemarie Muth ist Landeskirchliche Beauftragte für Schwerhörigenseelsorge

Schwerhörigen­seelsorge

Frau K. ist seit sie denken kann mit ihrer Kirchengemeinde verbunden. Viele Jahre war sie als Mitarbeiterin aktiv, zunächst in der Kinderkirche, dann im Frauenkreis. Heute engagiert sie sich im Besuchsdienst und trägt den Gemeindebrief aus. Doch in letzter Zeit ertappt sie sich immer öfter dabei, dass sie Ausreden sucht, um nicht in den Gottesdienst zu gehen. Auch im Frauenkreis fühlt sie sich nicht mehr recht wohl und bleibt immer öfter zuhause. Den Besuchsdienst will sie demnächst abgeben, da er ihr zu anstrengend wird.

Herr M. ist evangelisch, aber Kirche ist für ihn kein Thema. Er ist seit seiner Kindheit schwerhörig, ging auf die Schwerhörigenschule und wohnte im Internat. Die wenigen Male, die er einen Gottesdienst besuchte, waren nicht sehr ermutigend: Er verstand so gut wie nichts von der Predigt, fühlte sich ausgeschlossen und fehl am Platz. Heute geht er nur noch hin, wenn er muss: zu Hochzeiten, Taufen, Beerdigungen.

Diese beiden Beispiele zielen auf die wichtigsten Themenfelder der Schwerhörigenseelsorge:

Rückzug aus der Kirchengemeinde

Frau K. »gefällt es nicht mehr« in ihrer Gemeinde. Sie hat das Gefühl, dass es sich immer weniger lohnt hinzugehen. Viele spätschwerhörige Menschen registrieren ihre Hörschädigung oft erst sehr spät, da sie schleichend verläuft und sie den Grund für die Hörprobleme zunächst bei Anderen suchen (nuscheln, zu »leises« oder zu schnelles Sprechen). Darum neigen sie dazu, Situationen aus dem Weg zu gehen, die ihnen Hörstress bereiten. Sie ziehen sich zurück. Einsamkeit, Depressionen, Suizidgedanken und ein erhöhtes Risiko an Demenz zu erkranken sind die Folgen. Schwerhörigenseelsorge setzt hier auf Information und Beratung der Betroffenen und ihres Umfeldes. Vorträge, Öffentlichkeitsarbeit und Publikationen helfen technische und hörtaktische Möglichkeiten einzusetzen und einzufordern. Die Schwerhörigenseelsorge gibt aber auch Hilfestellungen, damit schwerhörige Menschen sich mit ihrer Schwerhörigkeit auseinandersetzen und sie letztendlich annehmen können.

Kirchengemeinde als Terra Incognita

Herr M. dagegen weiß um seine Schwerhörigkeit. Er ist damit aufgewachsen und kann damit umgehen. Er kennt die Hilfen, die er benötigt. Aber Kirche ist ihm fremd. Durch die frühe Unterbringung im Internat hatte er weder (nennenswerten) Kontakt zu seiner Heimatgemeinde, noch zu der am Internatsort. Kirchliche Strukturen und Gegebenheiten hat er kaum kennengelernt. Frühschwerhörige Menschen wachsen meist weitgehend ohne kirchlichen Kontakt auf. Oft sind sie der Meinung, Kirche würde sich eh nicht für sie interessieren. Zudem verstärken alte Verletzungen und Zurückweisungen, die durch mangelndes Wissen bei den Kirchengemeinden entstehen, diese Annahmen. Schwerhörigenseelsorge stellt hier das Bindungsglied zwischen Schwerhörigenvereinen und Kirche dar. Durch niedrigschwellige kirchliche Angebote, Gottesdienste vor Ort, Beiträge bei Vereinsveranstaltungen, aber besonders durch persönliche Gespräche und seelsorgerliche Begleitung wird so Kirche für sie erfahrbar und es werden Brücken zur jeweiligen Ortsgemeinde gebaut.

Hilflosigkeit in den Kirchengemeinden

Sowohl Frau K. als auch Herr M. sind Kirchenmitglied. Beide haben ein Anrecht auf Teilhabe. Beiden fällt es aber schwer, diese zu leben und einzufordern. Ca. 20% der Bevölkerung in Deutschland ist schwerhörig, bei den über 70-jährigen bereits mehr als die Hälfte.

Darum stellt sich die Frage, was Kirchengemeinden tun können, um weiterhin Heimat zu bleiben (Frau K.) oder Heimat zu werden (Herr M.)?

Schwerhörigenseelsorge versucht hier weiterzuhelfen. Sie berät Kirchengemeinden, aber auch Kirche und Diakonie als Institutionen. Sie zeigt auf, welche Hilfen für schwerhörige Menschen notwendig sind und wie Inklusion gelebt werden kann.

Kontakt und Informationen

Evangelische Landeskirche in Württemberg

Rosemarie Muth

Landeskirchliche Beauftragte für Schwerhörigenseelsorge

Robert-Mayer-Straße 37
72760 Reutlingen

Telefon: (07121) 330150
Fax: (07121) 372701

Mail: schwerhoerigenseelsorge@diakonie-wuerttemberg.de
Web: Ev. Landeskirche in Württemberg: Schwerhörigenseelsorge